Das Meisterwerk

Nitram sass am Brunnen und sah dem geschäftigen Treiben in City of Ravens zu. Seit gestern war er in der Hauptstadt der Räuberkönigin. Er genoss die Sonne die ihn wärmte und studierte weiter die Menschen, die in dieser Stadt lebten.

Eine nicht mehr ganz junge Frau ging mit 2 großen Eimern zum Brunnen. Nitram erkannte sie sofort, sie war eine aus seinem Dorf. Also hatte auch sie überlebt den Tag, als diese Horde das Dorf überfallen hatte, alle Männer und Kinder und viele Frauen töteten.

"Tamila," sprach Nitram sie an. Aber die Frau reagierte nicht und füllte weiter ihre Eimer mit dem Wasser aus dem Brunnen, ohne ihn wahrzunehmen. Nur die Verkrampfung in ihrer linken Schulter zeigte Nitram, das sie ihren früheren Namen gehört hatte. Also hatte auch sie ihren Namen geändert, um diese Schreckenszeit, als ihr Dorf und schliesslich ihr ganzes Volk vernichtet wurden, zu vergessen. Und Nitram wollte sie nicht wieder daran erinnern.

Ihn selbst schmerzte es immer noch, wenn die Erinnerung an jene Nacht wieder in ihm hochkam. Man hatte im Dorf gewusst, dass ein wilder Stamm in ihre Nähe zog. Aber keiner hatte damit gerechnet, dass er in dieser Nacht brüllend und mordend über sie herfallen sollte. Die jungen Krieger hatten tapfer versucht, sich und das Dorf zu verteidigen, aber es waren zu viele. Die Horde drang in jede Hütte ein, brachte alle ihre Bewohner um, nur ein paar schöne junge Frauen liessen sie am Leben,vergewaltigten sie und nahmen sie als Sklaven mit. Wer fliehen wollte, wurde in eine Enge getrieben und dort ermordet. Dann zündeten sie das Dorf an.

Keiner der Männer hatte überlebt, nur Nitram. Er hatte in seiner Hütte in einer Ecke gesessen und wie so oft nur ins Nichts gestarrt, und die Horde hatte ihn einfach übersehen. Als seine Hütte anfing zu brennen, legte er sich unter Decken auf den Boden, um sich vor dem giftigen Rauch und der aufkommenden Hitze zu schützen. Als er dann zu ersticken drohte, kroch er aus der Hütte, rannte aus dem Feuermeer und sprang in den Fluss, um seine Brandwunden zu kühlen. Die wilde Horde hatte inzwischen das brennende Dorf verlassen, in dem nun nichts mehr zu holen war.

Übersehen zu werden, das war eine Spezialität von Nitram. Damals hatte es ihm das Leben gerettet. Später nutzte er es, Menschen zu beobachten, ihre Eigenheiten, ihr Denken und Handeln zu studieren. Und er hatte sich dabei eine Menschenkenntnis erworben, wie sie in dieser Welt ihresgleichen sucht. Er hatte lange überlegt, wo er sich niederlassen sollte.
Die Illuminaten reizten ihn, ihr Wunsch, alles zu verstehen. Aber er merkte schnell, das man hier eher verträumt und ohne großen Durchblick an die Sachen heran ging.
Die Zeit bei den Bösen war sehr interessant. Doch letztlich konnte er klar erkennen, dass auch hier jeder nur nach Anerkennung strebte und, wie er es schmunzend formulierte, jeder der "gute Böse" sein wollte. Ja, die Menschen benennen sich eher nach dem, was sie gerne wären, als nach dem, was sie sind. Die Räuber weckten schliesslich sein Interesse. Eine Frau als "Räuberchef" und statt geklauter Ideen fand er sehr viel Kreativität in ihren Reihen. So war er jetzt an diesen Ort gekommen, um noch mehr über die Räuber und ihre Königin zu erfahren.

Tamila hatte inzwischen ihre 2 Eimer mit frischem Wasser gefüllt und verschwand hinter der nächsten Strassenecke, ohne ihn wirklich bemerkt zu haben. Nun, früher, in ihrem Dorf, hatte sie ihn auch nicht beachtet. Aber sie hatte nicht zu denen gehört, die ihn immer gehänselt und verlacht hatten. Er galt damals als der Narr im Dorf, mit dem niemand etwas anfangen konnte. Meistens sass er in der Nähe des Medizinmannes, wenn er die Kinder unterrichtete und beobachtete sie. Selbst wenn sich der Dorfrat mit dem Medizinmann traf, war er oft in der Nähe und hörte sich alles an. Er war halt der Narr, der Einfältige, den keiner beachtete und mit oder über den keiner sprach.

Nur einmal sagte der Medizinmann etwas über ihn. Damals hatte der Sohn des Dorfältesten ihm wieder besonders übel verhöhnt, als der Medizinmann ihn stoppte und sagte: "Lass ihn in Ruhe. Denn von ihm wird man noch sprechen, wenn du und dieses Dorf längst untergegangen und vergessen sind."
An diese Prophezeiung erinnerte sich Nitram jetzt und er entschied, dass es an der Zeit war, sein Schattendasein hinter sich zu lassen und seine wirkliche Rolle in dieser Welt einzunehmen. "Ein letztes Mal werde ich diese Fähigkeiten von mir noch einsetzen. Und das soll mein Meisterwerk sein" sprach er zu sich selbst, als er aufstand und den Weg zum Räuberhauptquartier einschlug.

In das Hauptquartier der Räuberkönigin zu kommen war einfach, fast zu einfach. Als ein Trupp Händler hineingelassen wurde, die in edle Kleider gehüllt waren und Gold und andere erlesene Güter mitbrachten, hatte keiner ein Auge für ihn gehabt, als er mit hineinschlüpfte. Seitdem hielt er sich mal hier mal dort in dem riesigen Gebäude auf. Als es in der Küche mal drunter und drüber ging, ging er an einen Tisch und fing an, die dort liegenden Zwiebeln zu hacken. Der Chefkoch guckte nur einmal etwas verwirrt, konnte aber wohl Menschen sowieso nicht so gut auseinander halten. Seitdem arbeitete er täglich ein paar Stunden in der Küche und hatte auf diese Weise stets genug zu essen.

In den Thronsaal zu gelangen gestaltete sich schon schwieriger. Doch als einmal ein Trupp Gefangener herein geführt wurde, konnte er sich problemlos dazugesellen und kam so an den Wachen vorbei. So hielt sich Nitram schon seit 5 Tagen ständig im Thronsaal auf. Wann immer die Räuberkönigin dort verweilte, richtete er seine ganze Konzentration auf sie, nahm jede ihrer Bewegungen auf, fühlte sich mehr und mehr in sie hinein. Und jetzt war der Zeitpunkt gekommen, sein Meisterwerk zu vollenden.

Seit dem Morgen schon hielt er sich nicht mehr in den dunkleren Seiten des Saales auf. Mehr und mehr strebte er in die Mitte in Richtung des Thrones. All seine Bewußtheit, alle seine Konzentration richtete er darauf so unauffällig wie möglich näher an die Räuberkönigin zu kommen, nicht bemerkt zu werden, selbst als er allein, mitten im Raum, nur noch 5 Meter vom Thron entfernt stand. Dann bemerkte die Räuberkönigin ihn. "Mein Name ist Nitram" sagte Nitram mit lauter und fester Stimme an sie gerichtet. Sofort war es Totenstille im Saal. Alle Augen waren auf ihn gerichtet. Auch die Königin starrte ihn an. Nitram genoss diesen Moment, dieses Gefühl, absolut im Mittelpunkt zu stehen, alle Aufmerksamkeit auf sich gerichtet. Er kostete es für einen Monment aus, um dann wieder all seine Wahrnehmungsfähigkeit und seine Konzentration auf die Räuberkönigin zu richten. Ein Zwerg holte sein Messer heraus und wollte sich auf ihn stürzen. Aber die Königin hielt ihn zurück.

"Was willst du hier?"

"Ich möchte dir meine Dienste anbieten", antwortete Nitram. Niemand regte sich mehr im Saal. Nitram spürte die Zweifel, die Verunsicherung in der Königin. Ihr wurde jetzt bewußt, das dieser Mann schon seit einigen Tagen in ihrer Nähe war. Sie konnte gar nicht sagen wie lange schon, nur ihr Unterbewußtsein hatte ihn bisher bemerkt. Was wusste er alles, über sie und ihr Reich. Wie war er hier herein gekommen, warum hatte ihn niemand wieder raus geschmissen, wo hat er sonst noch Zugang zu, hatte er sie gar bis in ihr Schlafgemach verfolgt. Und Nitram schaute sie an. Alles, was von ihr ausging nahm er auf. Mit jeder Faser seines Körpers stellte er sich auf sie ein. Und dann spürte er den Wechsel bei der Königin und wusste, dieses Meisterstück hatte er vollendet.

'Dieser Mann kann mir noch nützlich sein' dachte die Räuberkönigin.
"Leguan" wandte sie sich an einen Mann neben ihr. "kümmere dich um ihn. Und versorge ihn mit allem, was er braucht." fügte sie noch hinzu.

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